Flusswanderungen

Angesichts des längst begradigten und kanalisierten Rheins und der hierbei untergegangenen Auen-und Wasserwelt versuche ich - wirkmächtige und listige Schutzgeister aus seiner Tiefe mögen mir beistehen - zeichnend deren Magie, deren wilde Üppigkeit und lebendige Vielfalt zu beschwören und zumindest als Bild, als Vorstellung zu reanimieren.
Mit Schiller ( 1793) frage ich „ Wer von uns verweilt nicht lieber bei der geistreichen Unordnung einer natürlichen Flusslandschaft als bei der Regelmäßigkeit eines begradigten Gerinnes ?“ Mir ist hierbei klar, dass meine erinnerten Landschaften eine Art sind, wie ich die Welt sehe. Diese ist beständig - ich sehe den Auwald, sehe ihn aus der Vogelperspektive - im Fluss und was Fontane über den Oderbruch schrieb, galt vermutlich auch für den Rhein: “ ein Landstrich, über dem sich die Nebel drehten, der Aufenthaltsort zahlreicher Arten von Vögeln, Fischen und Säugetieren, wo dicke Säulen von Mücken ein Geräusch machten, als würden in der Ferne die Trommeln gerührt .“ Heute ist es mit der Mückenüppigkeit und auch mit den Schnaken „schon seit Jahrzehnten vorbei(….) ebenso „ wie mit den Libellen, die einst über die libellenflügelfarbigen Sumpflachen schwirrten,……. da man dem Rhein das Wasser abgegraben und die Autobahn gebaut hat.“ ( M. Kaschnitz, Beschreibung eines Dorfes)
Ich betrauere diese Verluste und halte mit meinen Zeichnungen, die nicht vor Ort, nicht vor den Beständen der noch verbliebenen Auwald – Relikte und nicht nach Photos entstanden sind, sondern angestoßen durch Zufallsstrukturen und gesteuert durch erinnertes intensives Erleben der Relikte dieser Landschaft sich erst auf dem Blatt entwickeln, dagegen.
Da also am Anfang die Bildidee steht, das Ergebnis jedoch offen ist und auch mich überrascht, befindet sich folglich auch der Zeichenprozess im Fluss und spiegelt auf seine Weise das ursprüngliche, nicht kontrollierbare Verhalten des wilden Rheins.
So halte ich das Zeichnen, da vage, andeutend und ebenfalls mäandrierend für das adäquate Medium, um Verschwundenes zu vergegenwärtigen. Es ermöglicht Freiräume und erlaubt zum Beispiel die Vogelperspektive ebenso, wie es uns in perspektivisch verzerrte Räume blicken lässt. Auch vermag es realistische Raum- und Zeitstrukturen außer Kraft zu setzen und sie auf diese Weise zu kommentieren. Immer war der Rheinwald die magische Landschaft meiner Kindheit und der Ort vieler Geschichten, die man sich in meiner Familie erzählte. Da war der Krieg, das Schanzen im Rheinwald, das Schwimmen und Ertrinken im durch seine Strudel nicht ungefährlichen Fluss, das Fischen, die Rheingrenze und der kanalisierungsbedingt niedrige Grundwasserpegel, dessen Folgen die Landwirtschaft westlich der B3 prägten: „ Viel Steine gab´s und wenig Brot.“ Teile der Familie stammten aus Dettenheim, das vom Hochwasser des Rheins bedroht 1813 verlegt und zu Karlsdorf wurde. Möglicherweise hätte mich ja auch Tulla mit einiger Berechtigung zur Vernunft anhalten wollen, mich an die vom Rheinhochwasser bedrohte Lage meiner Dettenheimer Vorfahren, auch an die damals grassierende Malaria erinnert und nachdrücklich behauptet: „Kein Strom oder Fluss hat mehr als ein Flussbett nötig.“ Es wäre mir wirklich schwer gefallen, dagegen zu halten.
Mittlerweile jedoch hat der Fortschritt seine Richtung geändert und vielleicht ist dem Stress, dem der Rhein und andere große Flüsse – man denke an die Oder im letzten Sommer- unter den Bedingungen heutiger Wirtschaftsinteressen durch Mikroplastik, Überdüngung und Klimawandel ausgesetzt ist, mit der Schillerschen „Unordnung einer natürlichen Flusslandschaft“ eher beizukommen. So ist also heute das „ integrierte Rheinprogramm “ kein romantisierender Idealismus, sondern angesichts ökologischer Verwerfungen und des Klimawandels ein gegen den Strom Schwimmen und eine Frage des Naturerhalts und Überlebens.

Verena Fuchs

Frankreich vis-a vis, 2017, Zeichnung, 100 x 73 cm Vor Tulla, 2017, Zeichnung und Tusche, 35 x 28 cm Vorfrühlingsahnung, 2018, Zeichnung, 64 x 24 cm Wassermusik, 2017, Zeichnung und Tusche, 73 x 25 cm Am Rhein, 2017, Zeichnung und Tusche, 80 x 25 cm Wutachschlucht erinnert, 2017, Zeichnung mit Tusche, 65 x 50 cm Urstrom 2, 2014, Tusche und Zeichnung, 100x24 cm Urstrom, 2014, Zeichnung, 100x23 cm Am Rhein, 2021, Farbstift, 102x30 cm Vor Tulla 2, 2021, Tusche und Zeichnung, 90x33 cm Getürmt, gesponnen - zerronnen, 2019, Zeichnung und Tusche, 73x19 cm Rheinschwemme, 2020, Zeichnung und Tusche, 73x25 cm